Werkbeschrieb

HORST (2021)

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HORST ist eine kleine Kolonie aus acht schwarzen Holzkabinen, die sich vorübergehend auf dem Dach des Wohnhauses am Seilerbahnweg 15 am Stadtrand von Chur niedergelassen hat. Von unterschiedlichen Standpunkten der Strassen und Häuser der Stadt, vom Rosenhügel und von der Brambrüeschbahn aus sichtbar, bleibt den Betrachtenden der Zugang ins Innere der Kabinen selbst verwehrt. Bereits 2019 hat Florian Bachs (*1975) Werk OASE – eine bitumierte Flagge auf einem Asphaltfleck im Gras des Rosenhügels – im Rahmen des Kunstprojekts BEGEGNUNGEN als Vorbote die Ankunft einer grösseren Kolonie angekündigt. Nun befindet sich ein weiterer Aussenposten mit gehissten Flaggen in der Stadt und wirft Fragen auf. 

HORST besteht als Erweiterung des darunterliegenden Wohnhauses und verweist auf die ungewisse Weiterentwicklung und Formbarkeit der Stadt in ihren Grenzzonen. Gerade im gleichzeitigen Entziehen und Generieren von Platz liegt eine Spannung, welche sich Bach zu Nutze macht, um die Stadt als politisches Territorium zu thematisieren. Wie viel Platz ist wer zu nehmen und wer zu geben bereit? Was ist, wenn sich die Machtverhältnisse ändern?

Das Bitumen, mit dem die Kabinen überzogen sind, referenziert jahrelange Konflikte um die Kontrolle von Ressourcen und thematisiert unteranderem die komplexen Folgen, die aus der Entwicklung der gegenwärtigen industriellen Welt resultieren. In diesem Kontext erscheint die Ankunft der kleinen Kolonie als Beginn eines möglicherweise unfreiwilligen Migrationsexils. Die Kabine versteht der Künstler dabei als mehrdeutiges Modell. Je nach Grösse und Kontext kann sie einerseits schutzbietend als Zuhause, Hochsitz bei der Jagd oder gar als Teil eines Kinderspielzeugsets aufgefasst werden und andererseits als prekäre Wohnform oder Wachturm auftreten. In ihr verdichten sich dem Kunstkritiker Hans Rudolf Reust zufolge, soziale Fantasien von Zuflucht und Kontrolle. HORST dreht sich nicht zuletzt um Fragen der Menschlichkeit und darum, wer welche Reaktion auf die Ankunft der Kolonie zeigt. Trotz der Härte und Standhaftigkeit, mit der die Formation die Stadt überblickt, wird klar, dass ihre momentane Dominanz von Ungewissheit geprägt ist. Die Verteidigungsstrategien derer HORST sich bedient, können in Hinblick auf den Titel einerseits in der Natur verortet werden, andererseits lässt die Aufstellung der Kabinen aber auch an die Struktur mittelalterlicher Burgen denken, von wo aus früher die Bewegung in den Tälern des Kantons Graubünden kontrolliert wurde. Die bedrohliche Präsenz von HORST stellt die Frage des Platzeinnehmens mit neuer Dringlichkeit und erinnert uns daran, dass künstlerische Positionen das Vermögen haben, die Problematiken, denen wir uns als Gesellschaft zu entziehen versuchen, im Vordergrund zu halten.